Manu
Emmanuel “Manu”, Barista
Sonntag, 5. April 2020
DEIN Motto-Wort für 2020
Calma
Meine Arbeitssituation
Ich bin Barista und habe meinen eigenen Streetfood-Wagen auf dem Merkurplatz. Da Take-Away weiter erlaubt ist, verwöhne ich die Menschen weiterhin mit meinem Kaffee und leckerem Mittagessen. Auf dem Platz ist es sehr viel ruhiger als sonst, aber im Vergleich zu anderen Orten in Winterthur gibt es nach wie vor Menschen, die auf dem Platz für einen Moment die Sonne geniessen oder für ihren Kaffee oder ihr Mittagessen vorbeikommen. So erlebe ich täglich ein Stückchen “Normalität” und das tut gut.
Auch ist es schön die Unterstützung vieler Freunde zu spüren, die bewusst vorbeischauen. Ich freue mich nun umso mehr auf den Moment, an dem auch alle wieder länger verweilen, sich umarmen, miteinander schwatzen und lachen und einfach eine gute Zeit zusammen geniessen dürfen.
Wie fühlst du dich? wie gehst du mit der aktuellen Situation um?
Zur Zeit mache ich mir viele Gedanken. Ich bin schon besorgt - nicht so sehr um mich selbst, aber um die vielen Menschen, die unter der Situation sehr stark leiden. Alle Menschen, die alleine leben und niemanden haben, all jene, die plötzlich ohne Arbeit und Einnahmen da stehen und nicht mal mehr Nahrungsmittel für ihre Familie kaufen können. Auch denke ich oft an meine Familie. Meine Familie und viele Freunde leben in Italien. Da ist die Situation nicht so ruhig und unter Kontrolle, wie das aktuell hier der Fall ist. Meine Mutter gehört zu den wenigen Berufsgruppen, die aktuell noch weiterarbeiten. Sie geht täglich raus und ist so einem grösseren Risiko ausgesetzt auch krank zu werden. Das macht mir manchmal Angst. Vor allem weil ich weiss, dass ich nicht vor Ort bin und in keiner Weise helfen kann. Ich glaube die Hilflosigkeit und auch die Ungewissheit wie und wann es weitergeht, machen mir am meisten Angst.
Dennoch versuche ich ruhig zu bleiben und nach vorne zu schauen. Die Situation wird nicht für immer so bleiben und das ist gut. Auch sehe ich viel Potential in der Veränderung, die gerade stattfindet (und vielleicht auch stattfinden muss). Die letzten Jahre hat sich die Welt immer schneller gedreht, die Menschen waren zum Grossteil gestresst, im Fokus stand meist die Anhäufung von materiellem Gut. Wer hat sich Zeit für sich selbst genommen, innezuhalten und einfach das Leben zu geniessen? Und jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem es sich wie ein Stillstand anfühlt. Plötzlich sind viele gezwungen Zeit mit sich selbst zu verbringen, Tag für Tag nachzudenken und vieles zu tun was ständig aufgeschoben wurde.
Welche Fragen beschäftigen dich am meisten?
Che sarà - was wird sein? Wird sich nachhaltig etwas in der Gesellschaft verändern? Und wie viel Leid entsteht tatsächlich durch die aktuelle Situation. Leid, das man im ersten Blick vielleicht nicht sieht, weil es nicht direkt mit der Krankheit zusammenhängt sondern mit den Massnahmen und den Auswirkungen der Massnahmen.
Ist bisher etwas spezielles, unerwartetes oder lustiges passiert?
Ich habe mir von meiner Freundin die Haare schneiden lassen. Das hätte ich ohne den “lockdown” niemals zugelassen.
Was siehst du positiv oder was negativ?
Positiv ist sicherlich, dass man mehr Solidarität spürt. Menschen helfen einander, sind füreinander da. Auch entsteht gerade sehr viel neues. Viele verspüren eine neue Energie und werden aktiv und sehr kreativ. Auch die Tatsache, dass vieles entschleunigt wird, Menschen sich mehr Zeit für Dinge nehmen und sich wieder mehr mit sich selbst und ihrem persönlichen Leben befassen, finde ich gut.
Negativ fühlt es sich an, dass die aktuelle Situation für viele sehr sehr schwierig ist. Es gibt so viele Menschen, die aktuell durch jegliches Raster fallen und von niemandem und nichts aufgefangen werden - sei dies finanziell oder auch persönlich. Und es ist irgendwie auch beängstigend zu sehen wie alle Länder ihre Grenzen schliessen und an manchen Orten eine totale Überwachung stattfindet.
Wie stellst du dir den 10.10.2020 vor?
Ich stelle mir die vielen Menschen vor, die mit lachenden Gesichtern durch die Gassen der Winterthurer Altstadt schlendern.
Deine aktuell liebste Beschäftigung:
Im Wald laufen gehen. Neuerdings treffe ich fast jedes zweite Mal auf ein Reh. Das ist vorher vielleicht zwei bis dreimal im Jahr passiert. Man merkt, dass die Natur wieder Luft kriegt und das fühlt sich gut an.
Dein aktuell liebster Soundtrack:
Believe von Lenny Kravitz
Drei DInge für die du aktuell dankbar bist:
Gesund zu sein
Meine Freundschaften
Frei zu sein
Was in Winterthur vermisst du gerade?
Ich vermisse das wöchentliche Fussball spielen auf dem Heiligberg (VorwärtsRückwärts Heiligberg forever!) und das anschliessende Biertrinken im Fahrenheit.
Wird die aktuelle Situation bei dir und/oder bei anderen etwas verändern?
Ich hoffe fest, dass die Menschen nicht mehr so materialistisch und egoistisch sein werden und sehen, dass es wichtigeres gibt. Es wäre schön, wenn das Zusammengehörigkeitsgefühl und die gegenseitige Unterstützung, die gerade stattfindet, nicht plötzlich verschwindet sondern weiterlebt.
Was wirst du als Allererstes tun, wenn die vom Bund verordneten Massnahmen aufgehoben werden?
Mich mit Freunden zum Fussball spielen und Bier trinken treffen, am FCW Match jubeln und nach Italien fahren und meine Mutter und Geschwister umarmen.
Kann man dich unterstützen oder kennst du jemanden in Winterthur, der sich über Unterstützung freuen würde?
Kommt auf dem Merkurplatz (zwischen Manor und Stadtgarten) auf einen Cappuccino oder ein kunterbuntes Mittagessen vorbei. Zusammen mit meinen Nachbarn Yusri und Meng halte ich da die Stellung.
Und unterstützt nach dem “lockdown” all diejenigen, die aktuell durch jegliche Raster fallen. Gebt ohne zu zögern einen 5-Liiber ins Kässäli eines Strassenkünstlers.
Das wolltest du zum Schluss gerne noch sagen:
Liebt euch!